Wer
über Musik spricht, sucht meistens nach dem großen
Ding, dem Sechser im Lotto, der ultimativen Innovation.
Weil er Journalist ist und dringend eine Geschichte benötigt,
die sein Magazin nach vorne bringt. Oder weil er
Revolutionär ist, der immer noch an den Umsturz glaubt
und eine Band sucht, die eine Utopie nach vorne bringt.
So verschieden das klingt – beide machen sich verrückt,
setzen sich und andere unter Druck und sind so
unentspannt wie ein Spekulant kurz vor Börsenschluss.
Tito
ist anders. Tito ist entspannt. Der gebürtige Mexikaner
kam in den 70ern nach Los Angeles. Ein Glücksritter mit
Kindheit in Alaska, Schulzeit in El Paso und gleich drei
künstlerischen Blutgruppen in seinen Adern –
Schauspielerei, Filmkomposition, Rock’n’Roll. In
allen dreien fasste er tatsächlich Fuß und schaut man
sich sein Leben an, gebührt ihm der Oscar für die
beste Nebenrolle in all diesen Disziplinen. Schließlich
heißt „Nebenrolle“ im Amerikanischen „supporting
role“ und dieser Begriff passt sehr gut auf das
Schaffen des lässigen Könners. In vielem, was wir
kennen und lieben, hatte er seine Finger drin. Auf
vieles, das wir als bedeutsam schätzen, hatte er
entscheidenden Einfluss. Als Punkrock Ende der 70er in
L.A. dreckig, drängend und aufregend war, steckte er
mit Bands wie The Impalas, The Flesh-Eaters und The
Plugz mittendrin. Er nahm mit The Gun Club auf,
wechselte mit The Cruzados zum Blues und eröffnete für
Fleetwood Mac. In „True Stories“ von David Byrne
spielte er einen Psychopathen, dessen Lieblingssong „Radiohead“
sich Jahre später Thom Yorke & Co als ihren
Bandnamen aussuchten. „Desperado“, „Es war einmal
in Mexiko“ und „From Dusk Till Dawn“ von Robert
Rodriguez bescherten ihm seine bekanntesten Rollen;
letzterer als berühmtes Sprungbrett für Tito &
Tarantula, deren Debüt „Tarantism“ ein Jahr nach
ihrem Auftritt als Hausband des Titty Twister erschien.
In Wirklichkeit entstanden sie fünf Jahre zuvor in ganz
ähnlichem Umfeld, als improvisierende Session-Band,
offen für jeden Mariachi, der nachts um drei noch die
Bar betrat.
Ganz
ehrlich – geht es cooler?
Eine
Frage, die man sich auch beim Hören von „Back into
the darkness“ stellt, Titos fünftem Album mit seiner
stetig veränderten Tarantula, die zurzeit im Kern aus
Lucy La Loca (Bass), Rafael Gayol (Drums) und Steven
Hufsteter an der zweiten Gitarre besteht. Eine Platte,
so staubtrocken und unprätentiös wie Tito selbst, der
mit lässigem Humor seinen Weg geht und ganz genau weiß,
dass er niemals danebengreift. Lieder, die den Geist
seiner alten Punkzeiten mit den improvisierten Nächten
der Bars und einer neuen Selbstsicherheit paaren, die häufig
an die ganz großen Routiniers erinnert. So klingt
„Monsters“, als habe sich Josh Homme mit Mark
Knopfler in einer Garage getroffen, um einem
Dire-Straits-Song die Klamotten vom Leib zu reißen und
Schürfwunden zu verpassen. Bei „Not Enough“ leidet
er so intensiv wie weiland Joe Cocker zu
Woodstock-Zeiten, als ihm der Schlamm der ersten Reihen
an die Hose spritzte. Demgegenüber scheppern „Darkness“
oder „If You Love Me“ wie Old-School-Punk, gönnt
sich „Come Out Clean” Orgel, Wahwah und
Gitarrensolo, zupft und pfeift sich „Machete“ wieder
in den Titty Twister zurück und trommelt sich „In My
Car“ fast tribalistisch in Trance.
Dieses
Album kann alles, belässt es aber so karg, so spröde
und so songdienlich wie möglich. Es ist die Musik
gewordene „supporting role“ für guten Geschmack. Es
stellt sich nicht mit glamouröser heißer Luft ins
Rampenlicht, sondern fühlt sich so wohl in der dunklen
Ecke hinter dem Vorhang, dass für alle echten
Musikliebhaber, die sich nicht blenden lassen, klar sein
sollte: „ Back into the darkness“ wird 2008 im Rock
eine Hauptrolle spielen!